Ablauf des Strafverfahrens
Das Strafverfahren lässt sich allgemein in zwei Abschnitte teilen: das Erkenntnisverfahren und das Vollstreckungsverfahren.
Das Erkenntnisverfahren umfasst das gesamte Verfahren bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung, zum Beispiel durch ein Urteil, einen Strafbefehl oder (mit Ausnahmen) durch eine Verfahrenseinstellung.
Nur dann, wenn es zu einer vollstreckbaren Entscheidung (zum Beispiel einer Verurteilung) kommt, folgt das Vollstreckungsverfahren. Selbsterklärend bedarf es nach einem Freispruch keines Vollstreckungsverfahrens.
Das Erkenntnisverfahren
Das Erkenntnisverfahren ist wiederum unterteilt in Ermittlungsverfahren, Zwischenverfahren, Hauptverfahren und Rechtsmittelverfahren. In allen Phasen kann eine rechtskundige und kritische Strafverteidigung entscheidende Weichen stellen oder gar ein Fortschreiten des Strafverfahrens unterbinden.
Das Ermittlungsverfahren
Die Voraussetzung für die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens (auch Vorverfahren genannt) und damit für den Beginn des Strafverfahrens ist ein bloßer Anfangsverdacht. Das ist eine niedrige Hürde. Denn für einen Anfangsverdacht genügt, wenn es möglich erscheint, dass eine verfolgbare Straftat begangen wurde.
Ob ein solcher Anfangsverdacht vorliegt, entscheidet im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft. Sie wird daher auch "Herrin des Ermittlungsverfahrens" genannt. Die Staatsanwaltschaft lenkt und steuert die Ermittlungen. Die Polizei führt die Ermittlungen als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft aus, zum Beispiel durch Vernehmungen und Durchsuchungen.
Das Ermittlungsverfahren endet entweder mit einer Einstellung des Verfahrens oder mit der Erhebung der "öffentlichen Klage".
Die Erhebung einer Anklage setzt einen hinreichenden Tatverdacht voraus. Ein hinreichender Tatverdacht besteht, wenn es wahrscheinlich – und nicht bloß möglich – erscheint, dass der Beschuldigte verurteilt wird.
Als Alternative zu einer Anklage kann die Staatsanwaltschaft beim zuständigen Gericht die Durchführung eines beschleunigten Verfahrens oder einen Strafbefehl beantragen. Ein Strafbefehl kommt vor allem in Betracht, wenn der Tatverdacht eine kleinere oder mittelschwere Sache betrifft und eine Hauptverhandlung aufgrund der eindeutigen Beweislage nicht erforderlich erscheint. Hauptvorteil des Strafbefehlsverfahrens ist für den Beschuldigten, dass ihm eine öffentliche Hauptverhandlung erspart bleibt.
Strafverteidigung im Ermittlungsverfahren
Das Ermittlungsverfahren stellt die entscheidenden Weichen für den späteren Verlauf und den Ausgang des Strafverfahrens. Teilweise kann im Ermittlungsverfahren bereits die Beendigung des Strafverfahrens erreicht werden. Daher kann nicht mehr als genug betont werden, dass das frühestmögliche Einschalten eines Strafverteidigers oft entscheidend ist.
Ein Strafverteidiger kann bereits im Ermittlungsverfahren darauf einwirken, dass die Staatsanwaltschaft von einer Anklageerhebung absieht und das Verfahren einstellt. Das hat den Vorteil, dass eine spätere und meist öffentliche Hauptverhandlung vermieden wird. Denn selbst wenn der Beschuldigte später freigesprochen wird, bedeutet ein Verfahren mit Hauptverhandlung immer eine erhebliche Belastung.
Auch kann der Verteidiger darauf drängen, bei Ermittlungsmaßnahmen anwesend zu sein, zum Beispiel bei Vernehmungen seines Mandanten. Denn falsche Verurteilungen haben ihren Grund oft darin, dass im Ermittlungsverfahren Fehler gemacht werden, die später schwer zu korrigieren sind, und einseitig zu Lasten des Beschuldigten ermittelt wird. Ein Strafverteidiger im Ermittlungsverfahren kann solche Fehler frühzeitig erkennen und bekämpfen.
Zwischenverfahren
Erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage, folgt dem Ermittlungsverfahren das Zwischenverfahren. Im Zwischenverfahren entscheidet das zuständige Gericht, ob ein Hauptverfahren zu eröffnen ist. Das ist der Fall, wenn nach Ansicht des Gerichts ein hinreichender Tatverdacht besteht.
Am Ende des Zwischenverfahrens steht entweder der Erlass des Eröffnungsbeschlusses oder die Ablehnung der Eröffnung. Möglich ist auch im Zwischenverfahren eine Einstellung des Verfahrens. Auf diese Möglichkeiten kann und sollte ein Strafverteidiger hinwirken.
Hauptverfahren und Gerichtsverhandlung
Endet das Zwischenverfahren mit einem Eröffnungsbeschluss, folgt das Hauptverfahren. Der Kern des Hauptverfahrens ist die öffentliche Hauptverhandlung vor dem zuständigen Gericht. Das Hauptverfahren endet in der Regel durch ein Urteil, also durch eine Verurteilung oder einen (Teil-)Freispruch. Weiterhin möglich bleibt eine Einstellung. In der Hauptverhandlung werden alle erheblichen Beweise erhoben und gewürdigt: Zeugenbeweis, Sachverständigenbeweis, Urkundenbeweis und Augenscheinsbeweis. Verhandelt wird mündlich, denn das spätere Urteil muss auf dem "Inbegriff der Verhandlung" beruhen (§ 261 StPO). Das heißt das Urteil darf nur auf das gestützt werden, was in der Hauptverhandlung im wahrsten Sinne des Wortes zur Sprache gekommen ist. Der Angeklagte und sein Verteidiger können und sollten in der Hauptverhandlung Einfluss nehmen auf die richterliche Überzeugung. Dafür gewährt die Strafprozessordnung verschiedene Verfahrensrechte wie das Beweisantrags-, Frage- und Erklärungsrecht.
Rechtsmittelverfahren
Allein durch das Urteil ist das Erkenntnisverfahren noch nicht beendet. Das Urteil muss rechtskräftig sein.
Wenn der Angeklagte oder die Staatsanwaltschaft mit einem Urteil nicht einverstanden sind, gibt es die Möglichkeit, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen. Solche Rechtsmittel sind – bei Urteilen – die Berufung und die Revision. Gegen einen Strafbefehl kann Einspruch eingelegt werden.
Ist das Urteil einmal ergangen und will der Verurteilte Rechtsmittel einlegen, ist meist schnelles Handeln geboten. Die sofortige Beschwerde ist zum Beispiel binnen einer Woche ab Bekanntmachung einzulegen, die Berufung und die Revision binnen einer Woche ab Verkündung der anzufechtenden Entscheidung.
Das Vollstreckungsverfahren
Erst wenn eine Verurteilung rechtskräftig ist, darf die Strafe vollstreckt werden. Das Vollstreckungsverfahren umfasst das Verfahren vom rechtskräftigen Urteil bis zum Strafantritt und die Überwachung der Bestrafung. Das Vollstreckungsverfahren ist in den §§ 449 ff. StPO geregelt und in der Strafvollstreckungsordnung (StrVollstrO). Zuständig sind die Staatsanwaltschaft und die Vollstreckungskammern der Landgerichte.
Abzugrenzen ist die Strafvollstreckung vom Strafvollzug. Unter dem Strafvollzug versteht man bei Freiheitsstrafen den tagtäglichen Ablauf in der Justizvollzugsanstalt (JVA). Der Strafvollzug ist grundsätzlich in jedem Bundesland anders geregelt. In Bayern ist das Bayerische Strafvollzugsgesetz zu beachten (BayStVollzG). Für die Vollstreckung von Maßregeln, etwa der Sicherungsverwahrung, gilt in Bayern das Bayerische Maßregelvollzugsgesetz (BayMRVG).